Ein Beitrag von Uwe Schürmann

Bereits zum dritten Mal fand anlässlich des World Voice Day (16. April jedes Jahres) in der Deutschen Stimmklinik am UKE (Universitätskrankenhaus Eppendorf) das Hamburger Stimmsymposium statt (hier zum Programm). Ich war bisher jedes Mal dabei und bin nach wie vor begeistert. Das Format ähnelt den Stuttgarter und Salzburger Stimmtagen mit einer Mischung aus Vorträgen, Round-Tables, Workshops, Master-Classes und Party. Die freundliche, lockere, humorvolle und anregende Atmosphäre bietet viel Raum zum Kennenlernen und Vernetzen und lässt leicht Kontakt entstehen zu bekannten ExpertInnen.

Veranstaltet wird das Symposium von der Deutschen Stimmklinik, einer Privatklinik in Kooperation mit dem UKE unter der Leitung von Prof.Dr. Markus Hess, Dr. Sabine Fleischer und Dipl. Ing. Frank Müller. Die hervorragende und umsichtige Organisation übernimmt regelmäßig Jale Papila (Sängerin, Gesangspädagogin).

Wie im letzten Jahr so hatte ich auch diesmal die Ehre, mit einem Workshop die AAP repräsentieren zu dürfen. Das Thema diesmal lautete: Plastische Artikulation für die Klangformung, Verständlichkeit, Atemunterstützung. In der Bildschirmpräsentation können Sie einen Eindruck davon gewinnen. Ich freute mich über rund 150 Teilnehmende. Neben den theoretischen Darstellungen machten wir auch viele Übungen, die im Hörsaal einen speziellen Charme gewannen. Insgesamt ergaben sich viele interessante Gespräche nach dem Workshop und zeigten, dass dieser Aspekt der AAP für Sprecher und Sänger von immenser Bedeutung ist.

Aber natürlich interessierten mich auch die Vorträge und Workshops der anderen. Da in der Regel zwei Veranstaltungen parallel stattfinden, habe ich auch eine Auswahl treffen müssen.

Markus Hess sprach zum Thema: Endoskopie: Gutes Endoskop, andere Diagnose?
Ich war immer schon davon ausgegangen, dass eine aussagekräftige Laryngoskopie (Kehlkopfspiegelung) Zeit, gute Technik und sehr viel Geschick erfordert. Die Darstellungen im Vortrag haben dies mehr als unterstrichen. Flexible Endoskope, Einsatz unterschiedlicher Lichtquellen und eben zeitintensive, hochkompetente Untersuchungstechnik lassen tatsächlich differenzierte Diagnosen entstehen, die in der normalen HNO-Praxis unmöglich zu erzielen sind.
Zudem bestehen mikrochirurgische Möglichkeiten ambulant in der Praxis, die aufwändige (und zuweilen riskante) OPs unter Narkose entbehrlich machen. Problem: die gesetzlichen Krankenkassen zahlen diese Verfahren in der Regel nicht.

Susanne Fleischer bot interessante Einblicke ins Flüstern und neue Informationen. Ihre Frage lautete: ist Flüstern schädlich? Und offenbar müssen wir Stimmtherapeuten und Stimmbildner unser entsprechendes Weltbild etwas zurecht rücken: Flüstern ist ab dem dritten Tag nach einer OP durchaus zu empfehlen und nicht etwa schädlich. Natürlich sollte es kein stark gepresstes Flüstern sein, aber die Stimmlippen leiden in keinem Fall unmittelbaren Schaden.

Jale Papila bot einen beeindruckenden Mix aus Vortrag, Video-Demonstrationen und eigenem Liedvortrag zum Thema: Die Randstimme im klassischen Gesang – ein zu formender Rohdiamant
Sie machte beeindruckend deutlich, dass es noch vieler Bemühungen bedarf, fundiertes physiologisches Wissen mit der gesangspädagogischen Terminologie zu vereinen und somit eine evidenzbasierte Didaktik zu ermöglichen.

Mitunter ist es ja verwunderlich, wenn unter neuem Namen altbekannte Vorgehensweisen wie neu erscheinen. Birte Heckmann zeigte mit dem Thema SOVTE (Semi-occluded voice tract exercises) eine große Zahl von Ansätzen. Natürlich war auch Lax Vox vertreten, die Nasalierungsmethode, Straw Phonation, etc. Birte Heckmann gelang es in begeisternder und  humorvoller Form, die Prinzipien und Vorgehensweisen theoretisch wie praktisch zu verdeutlichen – auch mit einer erfrischenden und witzigen kritischenDistanz.

Christine Steffen sprach über Stimme im System und zeigte lösungsorientierte Vorgehensweisen für stagnierende Stimmtherapien aus systemischer Sicht.

Renate Braun stellte Spezielle Gesangstechniken – hard, heavy, healthy vor. Wie immer sind befremdlich, ja geradezu krankhaft klingende Gesangsstile von besonderem Reiz. Ihr gelang es, uns diese Sounds zu entlocken, ohne dass wir stimmliche Probleme daraus entwickelt hätten und machte auf ihre ebenfalls höchst humorvolle Weise deutlich, wie unglaublich facettenreich unser stimmlicher Ausdruck sein kann.

Eve-Marie Haupt, die Grand-Dame der Stimmtherapie, wie sie mitunter bezeichnet wird, brachte einen Pionier der Stimmheilkunde in Erinnerung: Sind Emil Fröschels´ Impulse heute noch wirksam? Ich muss zugeben, vom Genie und der wirklich weitreichenden Wirkung seines Schaffens kaum etwas gewusst zu haben. Ja, nach diesem Vortrag ist deutlich, welche Wurzeln Phoniatrie und Logopädie haben, wie bereits vor mehr als hundert Jahren intensiv geforscht wurde und wie neben anderen bedeutenden Wissenschaftlern auch Fröschels von der unheilvollen Nazidiktatur vertrieben wurde. Wichtige, wertvolle Entwicklungen wurden damit bei uns unterbrochen und ich finde es nach wie vor beschämend, dass uns zum Beispiel Fröschels´ Impulse dann verspätet aus den USA erreichten.

Natürlich war auch wieder Jacob Lieberman da mitseiner spannenden manuellen Facilitation des Larynx. Uns AAPlern ist sie ja bereits gut vertraut durch Tinka Thede. Bei der Jahrestagung 2016 und danach in zwei intensiven Workshops konnten wir durch sie unser theoretisches Verständnis und vor allem unsere praktischen Möglichkeiten gut erweitern.

Zum guten Gelingen trägt übrigens auch immer die Party am Samstagabend in einer alten Speicherhalle der Hafencity bei. Als Fazit kann ich beim Symposium regelmäßig höchst anregende und bereichernde Aspekte und Neuigkeiten in Erfahrung bringen. Ich freue mich schon auf das nächste HamSS zum World Voice Day 2019!