von Uwe Schürmann

Torsten Schröder und ich waren eingeladen, am 9. Juni im Rahmen der stimme.at-Akademie über die „AAP und ihre Relevanz heute“ zu sprechen. Dabei erhielten wir sehr positive Resonanz auf unsere aktuellen Praxisbeispiele aus Sprechkunst, Stimmpädagogik und Rhetorik. In Meetings, Vorträgen, selbst in Videokonferenzen können wir auf der Basis der Leitgedanken und Übungsprinzipien schnelle Aha-Erlebnisse hervorrufen und mit Hilfe „einfacher“ Übungen alltagstaugliche Lernprozesse gestalten. Deutlich wurde von den Teilnehmenden rückgemeldet, dass sie anhand unserer Darstellungen die AAP nicht als die Summe atem- und sprechtechnischer Einzeltechniken verstanden, sondern als ein ganzheitliches Konzept.

AAP – Authentizität

Diese ganzheitliche Sichtweise können wir so skizzieren: Wenn wir atemrhythmisch angepasst phonieren, dann sprechen und singen wir so, wie es unserem Atem jetzt gerade entspricht. Und dabei ist der Atem in unseren gesamtkörperlichen Zustand eingebunden: wir atmen, sprechen und singen also auch haltungs-, spannungs- und bewegungsangepasst. Da unsere körperlichen Aktivitäten immer Ausdruck unserer momentanen geistig-seelischen Verfassung sind, sprechen wir auch so, wie wir uns gerade fühlen: wohl oder unwohl, offensiv oder selbstbezogen, raumgreifend und dynamisch oder eng und angespannt. Wenn wir dann in allen diesen Aspekten kongruent agieren, wirken wir in der Regel authentisch. Das kann dann aber durchaus bedeuten, dass unsere Stimme müde und matt klingt. Sprechen und Singen beginnt eben im Kopf.

Für bestimmte Herausforderungen oder für unsere eigenen Ansprüche reicht das aber nicht immer aus. Wollen wir also eine nachhaltige Leistungssteigerung erzielen, schaffen wir das nur auf der Basis einer konsequenten, kraftsparenden Ökonomie. Und für eine optimierte Wirkung müssen wir zusätzlich ziel- und partnergerichtet sprechen und singen. Vielleicht müssen wir dann sogar unsere kommunikative Haltung in Frage stellen. Wenn wir auf unseren Körper, den Atem und die Stimme achten wie auch auf die Wirkung unseres Ausdruckes, erkennen wir möglicherweise eigene Denkweisen und emotionale Muster, die uns in manchen Situationen eher schaden als nutzen.

AAP – kommunikative Sensibilität

Und da sind wir bei einem in dieser Zeit höchst relevanten Aspekt der AAP angelangt. Denn wenn wir im Spannungsfeld von Stimme und Person arbeiten, ist eine besondere kommunikative Sensibilität auch in unserer Wortwahl unabdingbar.

Bereits im Jahre 2005 formulierten wir in der Internationalen Vereinigung für Atemrhythmisch Angepasste Phonation, deren Präsident ich von 2003 bis 2012 war, ethische Anforderungen an AAP-Trainierende. Ganz im Sinne von Carl Rogers soll die Arbeit im Rahmen der AAP Authentizität, Empathie und Akzeptanz gegenüber Mitmenschen erkennbar werden lassen. Im Sinne der AAP soll sich in besonderer Weise der Respekt gegenüber der Individualität und der gewachsenen Persönlichkeit jeder Kommunikationspartner*in widerspiegeln. Das schließt eine besondere Sensibilität gegenüber persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren und Einflüssen ein.

Wir wollten damals verhindern, dass die höchst wirkungsvollen Einflussmöglichkeiten in der Anwendung der AAP missbräuchlich, voreingenommen und diskriminierend eingesetzt werden könnten. Es ging und geht uns um die Würde und Integrität des Menschen.

AAP – Respekt und Verantwortung

Nun gibt es ja immer unterschiedliche Interpretationen derselben Grundlagen und individuelle Schwerpunkte, die aus der jeweiligen Kommunikationsbiographie erwachsen. So werden manche Menschen einen besonderen sprecherischen Gewinn darin erkennen, die eigenen Gefühle deutlicher als gewohnt zum Ausdruck zu bringen. Sie werden das dann sicherlich als befreiend erleben. Andere werden ihre sehr gefühlsgeleitete Kommunikationsweise im Hinblick auf die Verletzlichkeit ihrer Kommunikationspartner*innen verantwortungsvoll neu ausbalancieren müssen.

Horst Coblenzer hat lange gewirkt, hat Vieles Vielen hinterlassen. Aus mündlichen Äußerungen und Schriften lassen sich erfahrungsgemäß alle möglichen Interpretationen irgendwie legitimieren.

In aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wird beim Sprachgebrauch oft der einschränkende, beengende Charakter der so genannten „political correctness“ betont. Es gibt nun Kolleg*innen, die aus Horst Coblenzers häufiger Forderung nach unverstelltem, gefühlsgetragenem Sprechen die Berechtigung ableiten, Ausdruck und Wortwahl ohne Rücksicht auf die Kommunikationspartner*innen zu nutzen – einschließlich des Gebrauches eindeutig diskriminierender Begriffe. Und das alles, um „sich den Mund nicht verbieten lassen“ zu wollen.

Von einer solchen missbräuchlichen Interpretation der AAP distanzieren wir uns deutlich.
Keine „Befreiung“ der eigenen Gefühle rechtfertigt die Verletzung anderer.

Für Respektlosigkeit, Ausgrenzung, Diskriminierung ist bei uns kein Platz.