Ein Beitrag von Anja Sportelli
Als aap®-Stimmtrainerin habe ich mich die letzten 18 Jahren mit der menschlichen Stimme beschäftigt. Im Zuge einer Zusatzausbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention war es für mich logisch, meine Facharbeit über den Einsatz der Stimme im Umgang mit Tieren zu schreiben. Um zu erfahren, wie wir Menschen lautlich mit Tieren sinnvoll kommunizieren können, war es wichtig zu beleuchten, inwieweit Tiere lautlich untereinander kommunizieren. Hierbei bin ich auf viele interessante Fakten gestoßen und es zeigte sich, dass unsere Stimme ein evolutionäres Erbe hat. In diesem Blog möchte ich von diesem Erbe berichten und die Zusammenhänge zwischen tierischen und menschlichen Stimmen aufzeigen.
Tiere übermitteln mit ihrer Stimme Informationen z.B. über Futterquellen und scheinen auch die Art des Futters lautlich anzeigen zu können. Tiere warnen lautlich vor Gefahren und können differenzierte Informationen geben (zum Beispiel ob die Gefahr aus der Luft oder vom Boden kommt). Lautliche Kommunikation wird eingesetzt, um Zusammengehörigkeit zu stärken und um Dominanz anzuzeigen. Emotionale Zustände sind über die Stimme decodierbar. Die Stimme der Tiere offenbart Informationen über so unterschiedliche Dinge wie Dominanz, sexuellen Status, Erregungszustand, Wachheit uvm. Die Lautgebung bei Tieren wird durch den emotionalen Zustand, die Atmung und die Vigilanz (Wachheit) beeinflusst. Dies ist bei Menschen genauso.
Aus der Forschung von Bioakustikern ist ersichtlich, dass die Stimme im Tierreich Aufschluss über viele Informationen gibt. Vor allem bei Wirbeltieren übermittelt die Lautgebung folgende Informationen über das Individuum :
- Anzeige des Geschlechts
- Anzeige des Alters
- Anzeige des sexuellen Status
- Anzeige des individuellen Status
- Anzeige des Stoffwechselstatus
- Anzeige des emotionalen Status
- Anzeige der Vigilanz
- Anzeige bestimmter Verhaltenszustände
Schaut man sich diese Liste an, so finden sich interessante Parallelen: Alter, Geschlecht, Vigilanz (also Grad der Wachheit), wie auch emotionaler Status ist sicher von den meisten Menschen anhand der Stimme seines Gegenübers überwiegend sicher zu erkennen. Je weiter die Stimmforschung voranschreitet, um so sicherer werden auch die Erkenntnisse über die Aussagekraft der Stimme. Einige Beispiele: Depressionen sind durch geringere Frequenzbereiche in den Vokalen und eine eingeschränkte Modulation beim Sprechen zu erkennen.
Der hormonelle und damit auch sexuelle Status von Frauen ist über die Stimme nachweisbar. Eine Untersuchung über die weibliche Stimme während des Eisprungs konnte bezeugen, dass die Stimme für Männer attraktiver klingt. Auch objektive Stimmparameter konnten eine bessere Stimmqualität belegen.
In der Schwangerschaft wird die Stimme der Frau als weicher und gleichzeitig tragfähiger beschrieben. Neuere Studien zeigen auf, dass sich ADHS in der Stimme und im Sprechmuster erkennen lässt.
Interessant und sicherlich für Stimmcoachings relevant ist die Frage, ob der individuelle Status eines Individuums innerhalb einer Gruppe an der Stimme erkennbar ist. So wird ja zum Beispiel die Tatsache, dass Frauenstimmen über die Jahrzehnte tiefer geworden sind, unter anderem damit erklärt, dass der Status der Frau sich verändert hat. Aber ist die Gleichung so einfach: tiefe Stimme, hoher Rang? Aus der Bioakustik gibt es tatsächlich Hinweise in diese Richtung: Tembrock erstellte folgende Tabelle für Säugetiere über die Zusammenhänge des sozialen Status und der Lautäußerung – mit dem Vermerk, dass sie sehr verallgemeinernd sei:
- Starkes Überwiegen tieferer Frequenzen bei ranghohen Individuen
- Breites Frequenzspektrum mit höchster Amplitude beim Lauteinsatz im Fall einer Verteidigungssituation
- Überwiegen hoher Frequenzen (mit Tendenzen zur Lautdehnung) beim unterlegenen (subdominanten) Status
Bekannt sind allerdings auch Studien, die ein zu großes Abweichen von der individuellen Stimmlage, ob nach oben oder unten als nicht authentisch und damit störend empfunden wird. Also ist es sicher nicht erstrebenswert, die Stimme künstlich tiefer zu trainieren. Aber: Stimmtrainings und -coachings schaffen die Voraussetzungen, um die eigene Stimmlage zu finden und zu halten und die liegt bekanntermaßen im unteren Drittel des individuellen Stimmumfangs. Dass hierzu besonders die grundlegenden Wirkungskreise der aap®-Stimmtrainings gehören, ist evident.
Eines ist sicher: Tiere brauchen kein Stimmtraining. Sie agieren instinktsicher. Für sie ist der lautliche Ausdruck eingebettet in alle Kommunikationsformen, die ihnen zur Verfügung stehen (z.B Kommunikation über chemische, visuelle, geschmackliche Signale). Lautiert wird dann, wenn es Sinn macht.
In der menschlichen Kommunikation sind diese Kommunikationsformen zurückgetreten, bzw neue Formen hinzugekommen (schriftliche Kommunikation). Durch die Entwicklung der menschlichen Sprache, dem Sich-hinwenden zur digitalen Kommunikation (siehe Blogbeitrag vom Februar) sind uns möglicherweise einige Facetten der Stimme etwas verloren gegangen. Auf der anderen Seite haben wir vieles hinzugewonnen. Wir sind in der Lage, unsere Stimmen auch als Kulturgut einzusetzen. Der unglaublich vielseitige und hochdifferenzierte Einsatz von Stimme und Sprechen in der Kunst – ob beim Singen oder Sprechen – erfolgt aber nur dann glaubwürdig, wenn wir ihr evolutionäres Erbe nicht vergessen.
Wir als Stimmtrainer und -coaches sollten unsere Aufgabe auch darin sehen, eine Brücke zu den Ursprüngen der lautlichen Kommunikation zu bauen.