Ein Beitrag von Nicola Ebert.
Mitte Februar 2019. Es wird wieder heller, die ersten Schneeglöckchen sprießen. Aber mein allerliebster und erfolgreichster Helfer, den Winterblues zu überwinden, liegt bereits hinter mir. Dafür tobt sich der berühmt berüchtigte Postbrigadenblues aus, den ich aber immer wieder gern in Kauf nehme… Wie der sich äußert? Z.B. in der Frage, ob ich einfach mal wieder das Radio einschalten soll, denn ich muss (darf) ja keine Lieder mehr lernen… Ob ich mit dem Hund gehen kann, ohne in Dauerschleife mein zwölf Stücke mit allen vier Stimmen, meiner Stimme allein oder „gegen“ die anderen zu hören. Und in dem unbestimmten Gefühl, meine MitsängerInnen aus aller Welt ganz furchtbar zu vermissen…
Aber wovon spreche ich denn jetzt nun? Wer mich kennt, weiss, dass ich Singen, und da vor allem den Barbershop liebe. In einem früheren Blog habe ich darüber geschrieben. In den USA gibt es sogenannte „Brigades“, in denen sich bisher nur männliche Sänger trafen (nun auch endlich Sängerinnen!), um in ihrer Stimmlage 12 Lieder perfekt zu lernen. Die dann am besten mit allen anderen SängerInnen im Quartett gesungen werden sollen. Es gibt sogenannte Tanzkarten, auf denen alle Quartettierenden ihren Namensaufkleber hinterlassen. Wer mit allen anderen drei Stimmen gesungen hat und dies dank der Karte nachweisen kann, ist ein „Tramp“, wer sogar eine weitere Stimme gelernt hat und somit auch noch mit dem letzten Viertel der gesamten Schar gesungen hat, wird „Supertramp“. Es gibt einen weiteren Preis, der weniger mit Leistung als mit Freundlichkeit und Enthusiasmus zu tun hat: wenn man die Person ist, mit der die Mehrzahl aller Teilnehmenden am allerliebsten gesungen hat. Daran arbeite ich noch, aber Tramp bin ich geworden in diesem Jahr!
Jetzt fliege ich leider in diesem Jahr nicht dafür in die Staaten wie viele meiner Freunde. Aber dank einiger (verrückter und liebenswerter) Leute, die auch netterweise gern mal unsere AAP Seite besuchen (hallo, Stefanie und Alexander!!!) und lieber und genauso verrückten englischen Freunde findet seit einigen Jahren einmal im Sommer nun in Leipzig die European Harmony Brigade statt, und jeden Februar die UK Harmony Brigade in Nottingham. Da kann passieren was will, da bin ich dabei, nun auch gern in Organisation.
Also Konzert, Wettbewerb, ein bisschen Schlaf (wirklich nicht viel…), Essen und Trinken (aber man singt ja auch für KellnerInnen), und ansonsten Singen, Quartettieren, was das Zeug hält. Manchmal geht der Klang eines bestimmten Quartetts so unter die Haut oder obertonmäßig an die Decke, dass man sich nur schwer trennen mag… Aber wir brauchen ja auch die Aufkleber der anderen für unsere Karte! Jedes Lied, auch, wenn immer wieder und immer wieder wiederholt, klingt jedes Mal anders, gewinnt an Facetten, Ausdruck. Jeder Sänger, jede Sängerin verändert den jeweiligen Klang, man muss aufeinander hören, immer nah dran und im Kontakt sein. Es wird niemals langweilig. Die Abende und Nächte sind lang, aus dem Quartettieren wird dann auch mal das „Floortetting“ (auf dem Boden liegen, vier Köpfe beisammen) oder auch das „Lootetting“ (das führe ich nicht weiter aus…). Mittlerweile sind unsere Alter so gemischt, man sollte nicht denken, dass die 70jährigen vernünftiger als die Youngsters wären… Und selten habe ich soviel Respekt, Anerkennung und aufrichtigen Spaß zwischen den Generationen , aber auch unterschiedlicher Herkunft und wohl auch Wertvorstellungen erlebt. Wo man singt, da lasse Dich ruhig nieder…
Nach für mich nun sechs Brigaden hat sich natürlich auch ein gutes Repertoire angesammelt, das gepflegt werden will, bildet es doch den Sockel, um mit Barbershoppern überall auf der Welt singen zu können. Dafür sorgen die „Core songs“, die sich in den jeweiligen Jahren in allen Brigaden der USA und Europa wiederholen. Nun muss ich auf die EHB in Leipzig im Sommer warten, bis dahin poliere ich an meinen über 60 Liedern und träume… Das hilft bestimmt bei post brigade blues disorder…
Halt, meine Kolleginnen wollen nun auch wissen, warum ich schon wieder an dieser Stelle über Barbershop schreibe. Ja, ich sollte nochmal unser Gedächtnis auffrischen, warum ich meine Verbindung zu AAP und Barbershop so fruchtbar, erfolgreich und fuer mich schicksalshaft empfinde. Ich sprach darüber, dass vier Tage immer wieder die gleichen Lieder singen niemals langweilig ist. Wir AAPler sagen gern, man steigt nie in den gleichen Fluss. Klare Intention, immer wieder frischer Ausdruckswille und persönliche Zuwendung lassen auch die 500. Vorstellung eines Stückes wie gerade inszeniert erleben. Und auch 12 Lieder vier Tage lang. Barbershop Lieder haben oft gegen Ende sehr, sehr lange Phrasen, die sogenannten Posts. Ich spreche von z.T. 30 Sekunden, wobei einer unserer Helden 58 geschafft haben soll. Diese sind neben natürlich gesunder Lungenfunktion durch inspiratorische Gegenspannung zu meistern, und nicht nur sportlich, sondern weiter bedeutungstragend.
Mir ist das schönste Kompliment gemacht worden, seitdem ich auf der Bühne bin. Ein alter, amerikanischer Herr sagte, in 45 Jahren hätte er noch nie das Gefühl gehabt, jemand habe nur für ihn im Publikum gesungen. Das hat mich sehr glücklich gemacht, denn damit habe ich diese beiden Welten vereinen können. Danke, AAP und BS.
Wollt Ihr ein bisschen Barbershop und AAP Luft schnuppern? Kommt zu unserer Mitgliederversammlung im März, und lasst Euch überraschen!